Mythos und Redewendung drücken mit unterschiedlichen Erzählformen dieselbe Botschaft aus: Will man die Welt des Walser Volkes verstehen, so muss man Mobilität, Eroberung und Erweiterung des Lebensraums berücksichtigen. Es handelte sich allerdings um einen schwierigen, anspruchsvollen und wilden Lebensraum, der andererseits unendlich, faszinierend und frei war und sich da befand, wo zu jener Zeit nur wenige Völker zu leben in der Lage waren.
In der Welt der Walser ist der Raum ein wichtigerer Aspekt als die Zeit: Auch wenn die Geschichtsforschung, insbesondere jene, welche den Ursprung der Walser Wanderungen entdecken wollte, das zeitliche Element bevorzugt hat, ist es in Wirklichkeit der Raum, der die Siedler im Hochgebirge anspornte, da zu wohnen, zu bleiben und für immer zu leben, wo vor ihnen niemand es gewagt hatte. Die Walser Verben sind einfach und unmittelbar Verben der Bewegung: ankommen, bleiben, aufbrechen, zurückkommen. Es sind die Verben eines Volkes von Auswanderern, das schon immer in der Bewegung das Wesen seines Werdens sah: im wiedergefundenen Tal ankommen, hier wohnen bleiben, wieder aufbrechen auf der Suche nach Arbeit oder neuen Siedlungsmöglichkeiten und schließlich saisonal ins Herkunftsdorf zurückkehren.
Diese Art, den Bogen des eigenen Daseins als Weg zu begreifen, auf dem man auch der christlichen Spiritualität begegnet, wirkt sich auch auf die Struktur des von den Walser Siedlern geformten und zivilisierten Territoriums aus. Nicht nur ein einziges Zentrum, sondern eine Vielzahl an Dörfern, Almen, Molkereien, die auch mehrere Marschstunden voneinander entfernt waren, jedoch durch ein Netz von Familienbeziehungen, Sippenverwandtschaften, Solidarität und Zusammenarbeit auf der Grundlage des gemeinsamen oder gemeinschaftlichen Besitzes von Umweltressourcen (Wasser, Wälder, Weiden) miteinander verbunden waren.
Heute stellt die außerordentliche Kulturlandschaft, welche die Walser im Laufe der Jahrhunderte durch ihre Tätigkeit geformt haben, ein inspirierendes Modell für die Zukunft (und nicht der Vergangenheit) dar, denn aufgrund ihres Gespürs für ein mögliches Gleichgewicht zwischen Nutzung und Bewahrung der Umwelt achteten sie darauf jene Ressourcen nie auszubeuten, welche sich regenerieren müssen und auch den kommenden Generationen als Lebensgrundlage dienen werden. Auch wir können uns, ihren Spuren folgend, auf den Weg machen und ernsthaft versuchen „wie ein Walser zu gehen“.